Außenposten – Blick auf Deutschland | Der Landtag im Gespräch mit Auslandskorrespondenten

Außenposten – Blick auf Deutschland | Der Landtag im Gespräch mit Auslandskorrespondenten


München – Deutschland galt lange als wirtschaftliches und politisches Zugpferd Europas. Doch wie steht es heute um das Land? Diese Frage stand im Mittelpunkt der Veranstaltung „Außenposten – Blick auf Deutschland | Der Landtag im Gespräch mit Auslandskorrespondenten“, die von Anna Clauß, der Leiterin des Ressorts Meinung und Debatte beim SPIEGEL, moderiert wurde. Vier erfahrene Auslandskorrespondenten berichteten über ihre Wahrnehmungen:

USA: Kritik an der Schuldenbremse und fehlenden Investitionen

Der US-amerikanische Journalist Erik Kirschbaum kritisierte die deutsche Schuldenbremse als „schrecklich“ und machte sie für das geringe Wirtschaftswachstum verantwortlich. Tatsächlich ist Deutschland eines der wenigen Länder, das trotz wirtschaftlicher Herausforderungen an einer strikten Begrenzung der Staatsausgaben festhält. In den USA hingegen setzt man auf groß angelegte Investitionsprogramme, wie zuletzt Bidens Inflation Reduction Act, der Milliarden in grüne Technologien, Infrastruktur und Halbleiterproduktion lenkt. Deutschland hingegen investiert vergleichsweise wenig in Infrastruktur, was sich etwa in maroden Straßen und einem veralteten Schienennetz zeigt.

Diese Kritik teilt auch die österreichische Journalistin Birgit Baumann. Sie sieht zwar Chancen durch das deutsche Schuldenpaket, doch gibt es in Österreich Bedenken, dass Bürokratie die Umsetzung blockieren könnte. Hier wird ein strukturelles Problem deutlich: Während Deutschland sich finanziell zurückhält, setzt Österreich stärker auf Investitionen – auch mit Blick auf Aufträge für die heimische Bauwirtschaft.

Ein weiteres Thema, das Kirschbaum ansprach, war das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG). Dieses Gesetz, das den Ausbau der erneuerbaren Energien in Deutschland massiv gefördert hat, war laut ihm ein globaler Gamechanger. Dank des EEGs seien die Kosten für Photovoltaik weltweit gesunken. Allerdings profitieren davon vor allem chinesische Hersteller, die den Markt dominieren. Dennoch bleiben deutsche Unternehmen in der Produktion von Maschinen für Solarfabriken führend.

Hier zeigt sich eine interessante Parallele zur französischen Perspektive: Während Frankreich weiterhin auf Atomkraft als Grundpfeiler seiner Energiepolitik setzt, hat Deutschland den Ausstieg vollzogen. Die französische Journalistin Hélène Kohl fragte sich daher, ob Deutschland langfristig nicht doch zur Atomenergie zurückkehren wird. Schließlich haben viele andere Länder ihre Atomprogramme ausgebaut, während Deutschland verstärkt auf teure Gasimporte angewiesen war.

Polens Perspektive: Deutschland als digitales Schlusslicht

Tomasz Lejman, Korrespondent für Polsat News, zeichnete ein düsteres Bild der deutschen Digitalpolitik. Er verglich die Digitalisierung in Polen und Deutschland und kam zu dem Fazit: Deutschland ist 20 Jahre zurück. Während in Polen nahezu alle Behördengänge digital abgewickelt werden können, ist Deutschland noch immer stark auf Papierdokumente und Präsenztermine angewiesen. Die Einführung eines Digitalministeriums, wie es CDU-Chef Friedrich Merz vorschlägt, hält Lejman daher für überfällig.

Diese Kritik ist nicht neu: Deutschland belegt im EU-Digitalisierungsindex regelmäßig hintere Plätze. Selbst Österreich, das mit Deutschland eng verbunden ist, hat hier deutlich mehr Fortschritte gemacht. Die Konsequenzen dieser digitalen Rückständigkeit sind gravierend – für Unternehmen, Bürger und den Wirtschaftsstandort insgesamt.

Lejman sprach auch über die deutsche Verteidigungspolitik. Polen fordert seit Jahren, dass Deutschland mehr in die Bundeswehr investiert, insbesondere angesichts der Bedrohung durch Russland. Während Polen massiv aufrüstet und neue Waffensysteme anschafft, wurde die Bundeswehr über Jahre hinweg vernachlässigt. Zwar gibt es inzwischen das 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen, doch viele Experten befürchten, dass es nicht effizient genutzt wird.

Hier zeigt sich ein Widerspruch zur US-Perspektive: Während aus den USA die Forderung kommt, Deutschland müsse eine größere geopolitische Führungsrolle übernehmen, zeigt sich in Europa Skepsis. Gerade in Frankreich ist das Misstrauen groß – nicht zuletzt, weil die CDU unter Friedrich Merz als mögliche Regierungspartei als unkalkulierbar gilt. Merz hat nie regiert, und seine wirtschaftspolitischen Vorstellungen sind in Paris mit Unsicherheit verbunden.

Österreich: Deutschland nicht mehr Garant für Stabilität

Für Österreich ist Deutschland der wichtigste Handelspartner, doch laut Birgit Baumann wächst die Unsicherheit. Deutschland galt lange als Stabilitätsanker Europas, doch dieser Ruf beginnt zu bröckeln. Besonders für die Bauindustrie in Österreich könnte jedoch das neue deutsche Schuldenpaket positive Effekte haben – vorausgesetzt, es wird tatsächlich genutzt.

Ein weiteres Thema war Robert Habeck, der in Österreich als prägende Figur im Klimaschutz wahrgenommen wird. Doch sein Einfluss schwindet, da die Grünen in Deutschland an Rückhalt verlieren. Diese Entwicklung sehen viele in Österreich mit Sorge, da ein wirtschaftlich starkes Deutschland auch für die eigene Stabilität essenziell ist.

Frankreich: Energiepolitik, Militär und europäische Zusammenarbeit

Hélène Kohl wies auf die tiefe Kluft zwischen Frankreich und Deutschland in der Energiepolitik hin. Während Frankreich stark auf Atomkraft setzt, hat Deutschland diese abgeschafft. Das führt nicht nur zu höheren Energiepreisen, sondern auch zu Abhängigkeiten von Importen, die Frankreich in dieser Form nicht hat.

Auch in der militärischen Zusammenarbeit gibt es Spannungen. Während Deutschland noch überlegt, ob es die Wehrpflicht wieder einführt, stellt sich in Frankreich eine andere Frage: Sollen französische Soldaten für die Ukraine kämpfen? Frankreich hat eine lange Tradition der militärischen Eigenständigkeit und eine andere Wahrnehmung von geopolitischer Sicherheit als Deutschland.

Zusätzlich stellte Kohl die Frage, was passiert, wenn Marine Le Pen 2027 Präsidentin wird. Sollte das der Fall sein, könnten militärische Abkommen mit Deutschland aufgekündigt werden, was einen tiefen Bruch zwischen beiden Ländern bedeuten würde.

Fazit: Ein Land im Umbruch

Die Diskussion zeigte, dass Deutschland im Ausland nicht mehr als unangefochtener Stabilitätsanker gilt. Während es in der Vergangenheit oft als Vorbild in Wirtschaft, Infrastruktur und Politik gesehen wurde, gibt es heute große Zweifel:

• Wirtschaftlich steht Deutschland durch die Schuldenbremse und Investitionszurückhaltung unter Druck.

• Digitalisierung bleibt ein massives Problem, das auch die internationale Wettbewerbsfähigkeit gefährdet.

• Energie- und Verteidigungspolitik sind umstritten, sowohl innerhalb Europas als auch in transatlantischen Beziehungen.

• Politische Unsicherheiten – sowohl in Deutschland als auch bei Partnerländern wie Frankreich oder Polen – erschweren die Zukunftsplanung.

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